Alltag an der „Heimatfront“

Ein Erlebnis extremer Mangelsituation

Obwohl die Kampfhandlungen, mit Ausnahme in Ostpreußen, nur jenseits der deutschen Grenze stattfanden, veränderte der Krieg das Leben hunderte Kilometer hinter der Front. Aus Werbe- sowie Todesanzeigen, Kaufgesuchen, Bekanntmachungen, Verordnungen oder behördlichen Anordnungen lassen sich Spuren des Alltags der Zivilbevölkerung ablesen. Dieser war geprägt vom Kriegsverlauf, der permanenten Sorge um die Angehörigen an der Front und der Beschaffung von Grundnahrungsmitteln oder anderen Gegenständen für das tägliche Überleben. Im Stadtbild manifestierten sich uniformierte Soldaten, Rot-Kreuz-Schwestern und Sanitäter. Truppentransporte und Kriegsgefangene sowie deren Lager wurden sichtbar. Im Laufe des Krieges kamen (Kriegs-)Verwundete und Invaliden sowie die Lazarette zur medizinischen Versorgung hinzu.

Der Wunsch der Bevölkerung, die Soldaten zu unterstützen äußerte sich besonders deutlich in den Erfolgen der zahlreichen Spendensammlungen. In einer Vielzahl von Zeitungsberichten wurde zur Kriegsunterstützung, zur Abgabe kriegswichtiger Gegenstände, zu Spenden- und Metallsammlungen aufgerufen. Unterschiedliche Aktionen führten Vereine wie das Deutsche Rote Kreuz, der Vaterländische Frauenverein sowie der Freiwillige Hilfsausschuss, aber auch Kinder und Jugendliche durch. Vielerorts wurden Sammelstellen errichtet und die Gesellschaft mobilisiert, den Krieg aktiv zu unterstützen. Für den lang andauernden Krieg sollte die Bevölkerung über die Steuerzahlungen hinaus einen finanziellen Beitrag leisten. In zahllosen Zeitungsanzeigen wurde sie aufgefordert, Kriegsanleihen zu zeichnen, d.h. dem Staat Geld für den Krieg zu leihen. Die Höhe des gesammelten Betrags wurde über die Zeitungen verbreitet. Ab 1915 wurden gemeinschaftsstiftende „Nagelungen“ durchgeführt. Mit dem Kauf eines Eisen- oder Messingnagels sollte sich die Bevölkerung finanziell am Krieg bzw. der Hinterbliebenenfürsorge beteiligen. Die Nägel wurden in öffentlichen Feierlichkeiten in Holzfiguren wie beispielsweise einem Kreuz eingeschlagen.

In den Zeitungen ließen sich neben den vielfachen Anzeichen von Unterstützungswillen auch Ängste der Bevölkerung ablesen, die sich vor allem auf ihr Eigentum bezogen. Mit den immer knapper werdenden Ressourcen versuchte der Staat die Organisation von Gegenständen des täglichen Bedarfs sowie Lebensmitteln durch Bezugsscheine zu steuern und die rapiden Preissteigerungen durch Höchstpreise zu deckeln. Petroleum, Brot, Fett, Butter, Kleider und Kerzen konnten nur noch mit Karten erworben werden, wobei diese den Erhalt nicht gewährleisteten. Die Ausgabe der Waren, die über die „städtischen Bekanntmachungen“ verbreitet wurde, war so problematisch, dass es dem Deutschen Reich nicht gelang, eine ausreichende Versorgung zu garantieren. In den Zeitungen wurde die Sparsamkeit zur „vaterländischen Pflicht“ erhoben. Sie waren voller Durchhalteparolen und Appelle an die Opferbereitschaft der Zivilbevölkerung.

Am 5. Dezember 1916 wurde das Gesetz über den „Vaterländischen Hilfsdienst“ erlassen, der alle nicht zum Militärdienst eingezogenen Deutschen vom 17. bis zum 60. Lebensjahr verpflichtete, sich in der Rüstungsindustrie oder einem kriegswichtigen Betrieb zu betätigen. Die aktive Rolle der Zivilbevölkerung am Krieg lässt sich auch am Begriff „Heimatfront“ ablesen, der in den hessischen Zeitungen erstmals 1917 verwendet wurde und sich im darauffolgenden Jahr schon fest etabliert hatte.